Botho Strauß – „Herkunft“ Carl Hanser Verlag 2014
Botho Strauß also. Eine neue, kleine Erzählung und jeder der mich kennt, weiß ( und jeder, der mich nicht kennt weiß es jetzt ) das Botho Strauß einer meiner Lieblingsautoren ist, vielleicht ist er sogar der zeitgenössische Autor, der mich am meisten geprägt und berührt hat. Ich weiß, das klingt vielleicht abgedroschen; Liebling und Prägung. Aber auch nur, weil es einfach zu häufig im falschen Kontext verwendet wird.
Für alle diejenigen, die Botho Strauß nicht kennen, hier eine kleine Beschreibung, natürlich aus meiner Sicht, meinem Blickwinkel nach jahrelanger Anhängerschaft und begierigen Lesen seiner Bücher. Vielleicht öffnet das für den einen oder anderen die Tür zu seiner Welt.
Ein kritischer und strenger Autor aus der 68-iger Generation, der Anfang der 90-iger Jahre heftig in die Kritik geriet. Mit seinem Essay „Anschwellender Bockgesang“ sorgte er für Aufsehen. Als ich damals zum ersten Mal dieses Essay las, verstand ich weniger als die Hälfte. Ich schätze, ich war einfach zu jung. Ein paar Jahre später sollte sich das ändern. Ich habe viele seiner Bücher und Theaterstücke gelesen und halte ihn für einen der größten Denker unserer Zeit. Ich erkannte die Schönheit seiner Sprache, seine Sensibilität und seinen Intellekt. Botho Strauß liebt die Sprache und jongliert mit den Worten und trifft genau ins Schwarze. Er ist ein freier Geist und verleiht einem das Gefühl, dass er sagen kann, was Menschen im tiefsten Herzen bewegt. Da, wo uns oft die Worte fehlen, findet er sie. Er tröstet und beruhigt und plötzlich wissen wir, das es eine Moral gibt, auch wenn die Welt voller Schwächen ist. Er schafft es Worten wie Liebe und Freundschaft Leben einzuhauchen und gibt uns den Mut zurück, wieder daran glauben zu können.
Unter bestimmter Betrachtung ist diese Erzählung kein typischer Botho Strauß. Was Stil, Sprache und Rhythmus allerdings angeht, ist sie unverkennbar gut und steht gleichwertig auf dem selben Niveau seiner anderen Werke. Aber diese Geschichte ist sanfter. In dieser Geschichte erzählt er von seinen Kindheitserinnerungen und vielleicht wird man, was solche Erinnerungen angeht, insgesamt milde. Vielleicht ist es das Alter. Botho Strauß wird in diesem Jahr 70 Jahre. Wir besuchen mit dem kleinen Jungen die Orte an denen er gelebt und aufgewachsen ist und lernen seine Eltern kennen. Besonders zu seinem Vater hat er eine besondere Verbindung. Er beschreibt ihn sehr bildhaft, aber ohne Selbsttäuschung. An der Hand dieses Vaters sind wir dabei, wie der kleine Junge ein neues Fahrrad bekommt oder in die Schule gebracht wird. Wir sind Zeugen seines Aufwachsens und erleben die verschiedenen Gefühle der einzelnen Lebenssituationen. Der Junge liebt den Vater genauso wie er ihn verleugnet, wie er sich abspaltet und am Ende doch genau dort wieder hingelangt, wo er herkommt. Herkunft eben. Ich mag die Ambivalenzen der Gefühle, weil sie so viel Seele haben und weil wir sie so ungeschminkt ehrlich erfahren. Botho Strauß zwischt hin und her; zwischen heute und damals. Er lässt das Gefühl aufkommen, als könnten wir uns in seiner Landschaft zurecht finden, er traut uns das zu. Er erzählt und wir fühlen. Wir erinnern uns an unsere eigene Kindheit, unsere Herkunft und sind ihm dankbar. Auch für die Lücken, die man manchmal schwer befüllen kann. Er lehrt uns, wie erinnern funktioniert.
“Viele Fragen habe ich meinem Vater gestellt und habe immer gute Antworten bekommen. Obwohl ich als Heranwachsender für ihn kein Verständnis aufbrachte und er für meine Zeit nicht, habe ich immer versucht, bedürftig, begierig versucht, ihn zu einer Übereinstimmung wenigstens mit einigen der Bücher zu bewegen, an denen mein Herz hing. Wenn mir dies hin und wieder gelang, wenn zum Beispiel ein Stück von Brecht seine Anerkennung fand, kamen mir die Tränen vor Glück, vor sieghafter Harmonie. Als ließe sich doch zwischen uns alles einen..!“